Sonntag, 1. Juli 2007

Mein Jakobsweg-Resümee

Ich bin also nach dieser aufregenden Pilgerreise um 1250 digitale Fotos und um mindestens ebenso viele Erfahrungen und Erlebnisse, die man schwer unter einen Hut bringt, reicher. Es waren einerseits entbehrungsreiche Tage (vor allem was die [nicht] vorhandenen sanitären Anlagen betrifft), andererseits war es eine Zeit des Erkennens über welchen persönlichen Reichtum man verfügt: Gemeinschaft(lichkeit), Lebensfreude, Mut und Selbstmotivation. Auch für mich, wie auch für viele andere Pilger, ist der Camino nach Santiago ein kleines Abbild des realen Lebens, in welchem man tagtäglich Höhen und Tiefen meistern und absolvieren muss. Es ist ein Weg, den man gehen muss/kann/soll, vielleicht auch zu dem man "gerufen" wird. Ich hatte dort die Möglichkeit, den absonderlichsten Menschen zu begegnen (ich erinnere mich schmunzelnd an ein frisch vermähltes junges Ehepaar, das sich den Jakobsweg als Honeymoon-Ziel ausgesucht hat...), und von Menschen zu hören, die - es mag absurd klingen - beeindruckende und unvorstellbare Leistungen und Strapazen auf sich nehmen (eine Pilgerin, die alle drei klassischen Pilgerziele weltweit anstrebt, indem sie angeblich von Santiago nach Rom und von dort weiter nach Jerusalem pilgert, wo sie exakt am 24. Dezember eintreffen will...)

Der Jakobsweg ist außerdem ein einmaliges Natur- und Kulturerlebnis! Den Anfang macht bereits der spanische Ort Roncesvalles (leider nicht gesehen), welcher den zentralen Schauplatz des Rolandsliedes stellt. Es geht weiter mit Kirchen und Kulturdenkmälern, die die spanische Geschichte gut veranschaulichen. Immer wieder auf dem Weg wurde ich nach meinen Motiven, nach meinen Beweggründen, warum ich den Camino gehe, gefragt. Nun, es lässt sich nicht auf ein Motiv allein zurückführen, denn es waren mehrere Aspekte, die mich auf diese - von vielen als wahnwitzig betrachtete - Idee gebracht haben. Es sollte eine Herausforderung sein, eine körperliche und auch eine seelische, der ich mich mit Haut und Haaren stellen wollte. Ja, und auch mein unterbewusster Hader mit Gott war ein Motiv. Jahrelang habe ich mich (und ihn!) immer wieder gefragt, warum er all diese "Steine" ausgerechnet mir zur Last gelegt hat. [...] Nun versuchte ich zwar immer wieder mir andere, weit härtere Schicksale ins Gedächtnis zu rufen, um mir meines dadurch irgendwie erträglicher zu machen, doch änderte sich an meinem Hader nichts. Der Jakobsweg war und ist für mich auch ein Weg zu Gott, dem ich von nun an mein gesamtes Dasein in seine Hände legen will (ich kann eh nicht anders ;-) ). Das wieder erwachte Urvertrauen demonstrierte mir erst heute Abend erneut, dass er mir bestimmt einen ANDEREN, nämlich den RICHTIGEN (Weg) ZU/weisen wird.

Abschließend füge ich jenen Sinnspruch (Verfasser unbekannt), den ich gleich zu Beginn meines Weges von Jasmin zu lesen bekommen habe und der mich begleitet hat, hier an:

WEGE

Wege fordern Bewegung, machen uns Beine, sind ausgetreten oder neu.

Sie führen uns zu vertrauten Plätzen oder ins Ungewisse, sie machen Hoffnung, bergen Spannung.

Wege verzweigen sich in Auswege, Umwege, Irrwege, gerade oder verschlungene Wege

Am Ziel jedoch solltest Du sagen können:
I did it my way!

Mein Kurz-Fazit: Es war jeden Tag sch(w)eißanstrengend, aber es war auch jeden Tag - ich zitiere MMM - "scheißleiwand"! Mal sehen, wie der Wiener (Gulasch-)Saft JETZT so mundet (siehe Tapetenwechsel). Immerhin ist er lange genug gestanden...

MEIN JAKOBSWEG - Juni 2007 (PICS IN AUSWAHL)

Freitag, 29. Juni 2007

Letzte Etappe: Santiago - Finisterre (90 km...)

...natürlich per Bus! Meine Herr- und Frauschaften, hola Amigos + Amigas (für die Pedanten UND Pedantinnen unter euch!): Meine Reiseerlebnisse sind noch nicht zu Ende, es geht noch weiter...tststs...

Gestern habe ich meinen Rucksack ein letztes Mal geschultert und bin mit dem Bus ans so genannte "Ende der Welt", zum Kap Finisterre (lat. Finis terrae) gefahren. Noch einmal gehts zu Fuß knappe 4 Kilometer bis zum äußersten Punkt, von wo man dann auf die endlose Weite des atlantischen Ozeans blicken kann. Ein herrlicher Ausblick! Für mich war es wichtig dorthin zu fahren, denn ich wollte dort sämtliche Ängste und Sorgen (zumindest symbolisch) über die Klippen ins Meer werfen. Tatsächlich bewirkt der Besuch des Kaps (viele gehen die 90 Km auch noch in 3 Tagen zu Fuß von Santiago) eine Seelenreinigung, die einfach eine Wohltat is
t!

Schon im Mittelalter sind die Pilger bis nach Finisterre gegangen, haben dort in einem Ritual ihre Pilgerkleider verbrannt, um am nächsten Tag als neuer Mensch zu erwachen. Als ich dort war, hat gerade ein hochwertiger GoreTex-Schuh gelodert und geglost... ob diese Tradition in Hinblick auf das Ozonloch beibehalten werden sollte, ist allerdings fraglich...

Apropos Tradition: Ich war am letzten Abend auch eine der glücklichen 10 Pilger, die in Santiago in den Genuss kommen, an einer alten Pilgertradition teilzunehmen. Dazu muss man wissen, dass rechts von der Kathedrale ein ebenso monumentales altes Gebäude steht, das einst ein Pilgerhospital war, in welchem
alte, arme und kranke Pilger - bei freier Kost und Logis - bis zu ihrer Genesung bleiben konnten. Heute beherbergt dieses Gebäude im Gegensatz zu früher keine armen Pilger mehr, sondern edle Hotelgäste. Es handelt sich dabei um das angeblich älteste Hotel "Parador", das über nicht weniger als 5 Sterne verfügt!
Stellt man sich als Pilger zu bestimmten Uhrzeiten an den Dienstboteneingang (als Erkennung muss man den Credencial (Pilgerpass) oder die Compostela vorweisen), darf man im "Parador" gratis speisen. ;-)
Wir waren genau 10, wurden pünktlich von einem livrierten Hotelangestellten abgeholt und in den "Pilgrims dining-room" (irgendwo in der Nähe der Küche) geführt. Das Essen mussten wir uns selber wie in der Mensa in der Hotelküche abholen und das Geschirr nach Beendigung desselben wieder zurück bringen. Wein und Wasser wieder inklusive. EVIVA ESPANA !

Mittwoch, 27. Juni 2007

Etappe 27: Santa Irene - SANTIAGO DE COMPOSTELA (24 Km)

Madige 24 Kilometer waren's noch von Santa Irene bis ans Ziel! Ein Katzensprung also... ICH IST, nein ES BIN GESCHAFFT! Egal!
Schon kilometerweit davor habe ich den Text von "Jo, wir san mim Radl do" in "Jo, i bin in Santiago/Santjago" umgewandelt und bin laut singend in die Stadt eingezogen!

UND JETZT ALLE:

JO, SIE IS in SANTJAGO! JO, SIE IS IN SANTJAGO-O-O-O!

Ganze 615 Kilometer von den insgesamt 700 Kilometern, die es ab Pamplona sind, habe ich zurueck gelegt. So gesehen fahre ich zufrieden und maechtig stolz auf das Erreichte sogar noch mit einem Kilometer-Bonus nach Hause, denn ich habe im Vorfeld mit mir ausgemacht, dass ich mindestens 550 Km gehen moechte!
"Do sama mit de Christbama" wuerde Mundl sagen, wuerde er jemals nach Santiago gehen... In diesem Sinne freue ich mich aber auch schon sehr auf Wien/Oesterreich, auf Euch, meine lieben Leser... und auf frisches Bettzeug!
(Resümee folgt !)

Etappe 26: Mélide - Santa Irene (34 km)

(Santa Irene; 25.6.07 - Nachtrag)
Als ich heute Morgen meine Siebenmeilenstiefel geschnuert habe, wusste ich noch nicht, dass es sich dabei tatsaechlich um solche handelt. Die heutige Etappe war mit Abstand eine der LAENGSTEN, fuer die wir paradoxerweise am wenigsten Zeit gebraucht haben. In den ersten zwei Stunden habe ich ordentlich Tempo gemacht, denn es ist irgendwie das passiert, was ich mir im Rahmen des Jakobsweges immer "erhofft" hatte: Meine aufgestauten Aggressionen haben sich gemeldet und haben mich angetrieben. Ich wollte meine Aggressionen weg gehen, wollte, dass sie weg gehen, also hab ich mir von meinem Mitpilger Christian (Allgaeu) den MP3-Player ausgeborgt und bin mit Tocotronic, The Strokes und Smashing Pumpkins im Ohr los marschiert. Geschafft habe ich in dieser kurzen Zeit eine beachtliche Distanz von 10 Km! Als mich jene unzaehligen Pilger, die ich alle ohne Zurueckzuschauen, ueberholt habe (vorher ist mir das noch nie gelungen...), bei meiner ersten Pause wieder gesehen haben, hat einer bewundernd bemerkt: "Na, Sie haben aber einen strammen Schritt drauf!". Ja wenn der wuesste, welche Gedanken mich zu dieser Hochleistung motiviert haben... Egal, ich habe gesungen, geheult, geflucht, Blumen ihre Koepfe abgehackt, und bin den Menschen, die mir ueber den Weg gelaufen sind, aus demselben gegangen. Erste Anfluege von Wut und "Menschenscheu"/Gefuehl des Allein-sein-Wollens erreichten mich bereits vor einigen Tagen in Burgos, als ich aus dem Bus gestiegen bin. Es war Punkt 14 Uhr und das Glockenspiel einer Iglesia mit der "Freude schoener Goetterfunken"-Melodie animierte mich laut mitzusingen...allerdings in der Textierung von Kurt Sowinetz: "Olle Menschen san ma z'wider, i mecht's in die Goschn haun!"...
Egal, wollte ich am Vormittag noch alles mit mir selbst ausmachen und allein sein, sind und waren am Nachmittag meine Aggresionen WEGGEGANGEN und so tauchte ich wieder in den Pilgerstrom ein. Wieder ist mir Miriam, eine kanadische Lehrerin, begegnet, mit der ich vor einigen Tagen auch viele gemeinsam Kilometer gemacht habe. Sie ist bereits seit 7 Monaten in Europa und Afrika unterwegs. Thanx God (and Edith...*huestelhuestel*) war unsere Unterhaltung (auf Englisch) meiner Meinung nach sehr angeregt und begeistert. Jedenfalls hats mir Spasz gemacht. Was die Konversation mit Anderssprachigen betrifft, konnte ich leider nicht ganz so gut mithalten und so beschraenkte sich mein Franzoesisch auf den erlernten Standard-Satz: "Je ne comprends pas!"...
Mit den Einheimischen zu plaudern ist wiederum ein leichtes: Mit Haenden und Fueszen kommt man zu dem was man will/braucht. Als Peregrina wird man auch immer wieder angesprochen. Immer wieder habe ich den franzoesischen Standard-Satz auch auf Spanisch gesagt, was die Spanier aber kaltbluetig ignoriert haben - wenn sie mit dir reden wollen, dann reden sie. Ob mans versteht oder nicht! In einem der vielen Eukalyptuswaelder auf den letzten Etappen vor dem Ziel ist mir ein Spanier begegnet, der mich auf die "beste Tarta de Santiago" (Mandeltorte) wo gibt hingewiesen hat. Es hat sich herausgestellt, dass derjenige offenbar von der Wirtin als Werbemann engagiert worden ist, denn tatsaechlich sind alle nachkommenden Pilger dort eingekehrt, um die Tarta zu kosten. Auch Miriam hat die Info von ihm bekommen und hat sich eine schmecken lassen. Da faellt mir ein: Sie hat mir erzaehlt, dass ihr Sohn im Zuge seiner einjaehrigen Weltreise seine Freundin vor der atemberaubenden Caldera-Kulisse in Santorin heiraten wird. So schlieszt sich der Kreis, denn wenn ich an Santorin denke, faellt mir gleich meine Schulzeit und unsere Maturareise ebendorthin ein. Schade, dass ich beim Absolvententreff in der Bernoulli nicht dabei sein konnte. War sicher witzig.

Sonntag, 24. Juni 2007

Etappe 25: Ventas de Náron - Mélide (27 km)

Ziele!
Ziele sind wichtig im Leben. Ziele bringen einen weiter. Ziele sind zum Erreichen da! Meine heutigen Gedanken zum Ankommen.
Zwei Tage noch bis Santiago. Besonders wenn bei den anderen Pilgern die Kraefte am Nachmittag nachlassen, merke ich, wie gut ich meine fuer die letzten "paar Meter" nochmals mobilisieren kann.

Etappe 24: Barbadelo - Ventas de Náron (31 km)

(Ventas de Náron; 23.6.07 - Nachtrag)
Habe ich mich UEBER die ersten geschafften 100 Kilometer schon extrem gefreut (*schulterklopf*), freue ich mich AUF die letzten, noch verbleibenden 100 Kilometer noch viel mehr!
Die heutige Etappe war aeuszerst kurzweilig, da alle paar Kilometer eine kleine Ortschaft aufgetaucht ist. Sonnenschein. ALLES wunderbar!
Getruebt wurde diese Stimmung allerdings durch die ploetzlich in Heerscharen auftretenden "Sonntagspilger", die eben nur am Wochenende am Camino unterwegs sind... Alle sind sie scharf auf diese "Compostela", die man fuer die letzten 100 erwanderten/absolvierten Km erhaelt. Auf jenen glitzersandigen Pfaden durch Foehrenwaelder begegnet man z.B. ganzen spanischen Schulklassen als auch italienischen Wandergruppen. Bei letzteren ist es - wenn man dem Italienischen nicht maechtig ist - schwierig auszumachen, ob sie Wallfahrer- oder doch Trinklieder zum Besten geben. Generall hat sich die einstmalige Stille am Camino ins Gegenteil umgewandelt. Zu allem Ueberdrusz bevoelkern und belegen diese Moechtegern-Pilger auch noch jene von uns anvisierten Herbergen, wo dann auf Schmierzetteln geschrieben steht:
"El Albergue esta completo!"
Nicht den Mut verlieren - UND weiter gehen!...

Etappe 23: Triacastela - Barbadelo (23 km)

(Barbadelo; 22.6.07 - Nachtrag)
Es ist an der Zeit eine (Zwischen)Bilanz zu ziehen: Ab Barbadelo warten noch ca. 100 Km, d.h. 4 Tage bis Santiago auf uns. In vier Etappen bin ich also am Ziel. Ich kanns gar nicht fassen! Bisher habe ich es als groeszten Genuss empfunden, - im Tagesetappenziel angekommen - meinen Schlafsack auszurollen, um mich zufrieden darin einzurollen und wegzupennen. Aber Halt! "Nur" noch 100 Kilometer? Das heiszt auch, dass ich bereits 600 Km hinter mir habe. 515 Km davon zu Fusz!
Wenn ichs mir recht ueberlege, grenzt es eigentlich an ein Wunder, dass wir ueberhaupt ANKOMMEN, denn fuer die gestrige STrecke (21.6.), die mit 6 Stunden Gehzeit im Reisefuehrer angegeben war, haben wir DOPPELT so lang gebraucht... Da habe ich mir wieder mal die richtigen zwei Peregrino-Chicos ausgesucht... Ich befuerchte, die beiden denken sich genau dasselbe, denn immerhin bin ich es, die bei jeder Kuh und jedem Esel stehen bleibt (Foto! Foto!) UND somit Zeit schindet...
Natuerlich sind in dieser Zeit auch langatmige Pausen inkludiert, in denen man sich staerkt und auch mit anderen Pilgern ins Gespraech kommt. So manchem Mitpilger duerfte die Strecke aehnlich schwer fallen, denn die Frage, ob er - nach Erkennen heimischer Dialektfetzen - aus Oesterreich sei, beantwortete er mit: "Nein, aus Kaernten!".

Es war eine anstrengende Tour. Gatsch-Tour, die dritte, und zwar in Folge *Grmpf*. Erst am Nachmittag liesz sich die Sonne blicken und Vogelgezwitscher begleitete mich auf meinem Weg durch dichte Waelder, vorbei an moosbedeckten Steinen und Mauern - bis Barbadelo! Herrlich!